Wie macht Musik glücklich?
Am Wochenende erfüllten Klänge des grossen Jazzmusikers Duke Ellington die St.-Johannes-Kirche. Der Chor Xang, die Zuger Big Band und die Sopranistin Eveline Suter boten ein Konzert von überwältigender Wirkung.
Man sagt, dass wir für Musik eigentlich keine Sprache haben, dass wir sie nur erleben können – und zur Visualität, zu Bildern Zuflucht nehmen müssen, um sie zu beschreiben. Was ist es also, das eine Kirche voller Menschen zu begeisterten Zwischenrufen und am Ende zu tobendem stehendem Applaus, ja jubelndem Jauchzen bewegt? Duke Ellington selber nannte das «Sacred Concert», das gegen sein Lebensende entstand, «the most important thing I have ever done». Es steht im Zentrum des Konzertabends anlässlich des Namenstages der Kirche St. Johannes. Roman Ambühl, Pastoralassistent, weist in der Begrüssung darauf hin, dass Kirche und Komposition im selben Zeitraum, um 1970 herum, entstanden, und was Ferdinand Gehrs Wandbilder im Innern des Gotteshauses mit der Musik gemeinsam haben: «Die rote Farbe ist dominant, sie steht für die Liebe, die alles verbindet. In der Musik gibt es das Laute und die absolute Stille, Dissonanzen und Harmonien, und sie vermag diese Gegensätze zu verbinden.» Es geht um die Verbindung – sakraler Raum, Malerei und Musik gehören zusammen: Das Publikum in den beiden vollständig gefüllten Hauptschiffen ist eingestimmt auf ein Erlebnis für alle Sinne.
Den Auftakt macht die junge Zuger Big Band: Neun Blechbläser und eine «Rhythm Section» aus Piano, Kontrabass und Drums geben mit den drei Anfangsstücken einen ersten Eindruck von Ellingtons reichem
Schaffen. «It Don’t Mean A Thing», das Erkennungszeichen seines berühmten Orchesters, fährt mit hinreissendem Swing den Zuhörern sogleich in die Glieder, und die Soli des Trompeters Nicolas Jäger
und jene des Saxofonisten und Bandleaders Stefan Andres verursachen die ersten Szenenapplause. Mit «Oclupaca» intoniert die Band eine magische Slow-Nummer, in welcher die unglaublich tiefen Töne in
Bass-Saxofon und Kontrabass eine besondere Wirkung haben. «Isfahan», anlässlich einer Iran-Tournee entstanden, zeigt immer wieder das charakteristische «Growl» (Knurren) des von Ellington erfundenen
«Jungle Style»: Die Trompeter bewegen vor den Schalltrichtern ihrer Instrumente den sogenannten «Plunger» (Kolben) aus Gummi, sodass ein gurgelnder, rauer Klang entsteht. In den höchsten Lagen
klimpernde Pianoklänge aber imitieren die Zimbeln orientalischer Tänze – das Stück strahlt einen nahöstlichen Zauber aus.
Dann kommen die 26 Sänger des Chors Xang, der Dirigent Peter Werlen und die Sopranistin Eveline Suter hinzu: Das zehnteilige «Sacred Concert» kann beginnen. Inhaltlich ist es ein enthusiastischer
Gottesdienst gemäss Psalm 150: «Alles, was atmet, lobe den Herrn!» Musikalisch aber entfaltet sich in diesem Jazz-Oratorium eine grosse kompositorische Fantasie. Da gibt es die einstimmigen Gospel-
Choräle, die plötzlich in Mehrstimmigkeit ausbrechen, bald sanft nuanciert, bald in anschwellender Begeisterung vom Chor Xang vorgetragen und – unter dem temperamentvollen Dirigat Peter Werlens –
gemeinsam mit der Big Band zu grossen Tutti gesteigert: «Praise God» am Anfang und am Schluss. In «Heaven» gesellt sich zu Can Etterlins lyrischem Piano Eveline Suters Sopran, zunächst zart tastend, dann
in seinem vollen Potenzial – mit den mühelosen Tiefen und Höhen einer manchmal fast schwarzen Jazzstimme. «The Shepherd» ist ein reines Big-Band-Stück, erneut getragen von einem Trompetensolo,
das mit seinen «Growl-Effekten» Komik hervorruft. In der A-cappella-Nummer «Come Sunday» vokalisiert die Sopranistin ihre Melodie ohne Worte auf einem innigen «A», und immer öfter tritt auch der
Scat auf – eine jazztypische Aneinanderreihung rhythmisch eingesetzter Silben. Der Chor imitiert das in «The Majesty Of God», die Stimmen werden zur Vokalperkussion, und indem dies in «David Dances»
noch zunimmt, entsteht der Eindruck: Die Bedeutung der Sprache spielt immer weniger eine Rolle, das Musik gewordene Gefühl übernimmt die Führung in einem vielstimmigen, wilder werdenden Tanz. Die
Drum-Soli von Dominic Eschmann häufen sich, schieben den Schluss auf, erzeugen Spannung, bis sie den ganzen Klangkörper in einem glänzenden Tutti zu Gipfel und Auflösung führen.
Ein Wort durchzieht das Konzert: «Freedom». Es erinnert zunächst an den Kampf der schwarzen Amerikaner um Menschenrechte. An einer Stelle aber rezitiert Eveline Suter über dem Summen des Chores gleichsam Duke Ellingtons Statement dazu: «Freedom is a word that is spoken and sung, loudly and softly, all around the world, and in many languages.» Vielleicht ist es dieses universell empfundene Gefühl, das grandios zum Ausdruck kommt und so die Menschen berührt.
Luzerner Zeitung – 26. Juni 2017
Dorotea Bitterli