«Sacred Concert»: Jazz und Gotteslob
Für Sie (heraus-)gehört
Wie weit der Begriff «sakrale Musik» gefasst werden muss, konnte an den beiden Konzerten der Alex-Rüedi-Big-Band (Leiter Alex Rüedi) und des Ensembles da capo (Dirigent Peter Werlen) festgestellt werden, die kürzlich in Naters (Missione) und in Leuk (Kinderdorf) stattfanden. Dort wurde klar, dass Gott in den verschiedenen Kulturen sehr verschieden verehrt werden kann. Das von John Hoybye und Peder Pedersen aus drei verfügbaren «Sacred Concerts» arrangierte «heilige Konzert» Duke Ellingtons beginnt swingjazzig mit dem Lob Gottes (Praise God) und endet mit der Aufforderung, zur Ehre Gottes auch zu tanzen. Dieses durchaus farbiger Kultur entspringende Preisen Gottes steigerte sich, vor allem auch durch den manchmal in höchsten Höhen angesiedelten Gesang der Sängerin Rhonda Dorsey angetrieben, zu einem ekstatischen Finale, zu dem sowohl der Chor als auch die Big Band das Ihre beitrugen. In Leuk, wo der Saal des Kinderdorfes bis zum letzten Platz mit einem begeisterten, stürmisch applaudierenden Publikum gefüllt war, zeigte die Wiederholung die Struktur dieses Finales sehr eindringlich. Wer sich zum Begriff «frommer Gesang» auf Gregorianik, eine Motette von Palestrina oder Bach-Choräle beschränkt, hatte hier Gelegenheit, seinen Horizont etwas zu erweitern. Vor allem wäre eine solche Einschränkung des Begriffes Frömmigkeit eine Missachtung der tiefen Religiosität, die auch im Blues oder in anderer Musik nichteuropäischer Völker aufscheint. Die beiden erwähnten Konzerte in Leuk und Naters waren, so gesehen, auch Symbole für die Universalität der Erscheinung, die wir Musik nennen. Und sie hatten auch etwas Pioniercharakter.
Die Arrangeure haben sich bemüht, aus dem Schaffen Duke Ellingtons sehr viel Schönes auszuwählen. Sie stellten die einzelnen Stücke auch ab wechslungsreich für Chor und Band, dann wieder für Sopran-Solo und Chor, für Sopran-Solo und Klavier, für Chor und Sprecher usw. zusammen. Gesamthaft waren der Chor und die Big Band zu fast gleichen Anteilen engagiert. Die Big Band zeigte bestechenden Stil, den man schon bei anderen Gelegenheiten, etwa auch am Fernsehen, bewundern konnte. Die Band hat viel von den schöpferischen Möglichkeiten ihres Leaders Alex Rüedi, einer markanten Musikerpersönlichkeit, übernommen. Der dacapo-Chor seinerseits bestritt seinen Part mit sichtlicher Begeisterung, mit weitgehender Einfühlung in diesen sicher auch für viele Sängerinnen und Sänger neuartigen, Rhythmus intensiven und in Englisch gehaltenen Gesang. Man bemerkte dabei einen entfesselten Dirigenten Peter Werlen, der als wahres Energiebündel dem ganzen Konzert jenen unsagbaren Schwung verlieh, der erst mitreisst, rührt und Erlebnisse freimacht. Die 400 in Leuk anwesenden Musikfreunde genossen aber auch die sängerischen Gaben Rhonda Dorseys, die mit ihrer wandlungsfähigen, aus dem Urgrund farbigen Erlebens schöpfenden, charaktervollen und natürlichen Stimme dem Konzertsound stilmässig wunderbar passende Lichtpunkte aufsetzte.
Glanz verbreiteten an diesem Abend die solistischen Auftritte der Big-Band-Musiker. Über das Wirken des als Saxophonist, Komponist und Dirigent bekannten Bandleaders Alex Rüedi hinaus konnte man mehrere hervorragende Solisten bewundern: den begnadeten Allrounder-Pianisten Stefan Ruppen in der Begleitung der Solistin und des Chores, den Alt-Saxophonisten Achim Escher bei der Unterlegung verschiedener Chorpassagen, den Trompeter Michael Steiner in einem ausdrucksstarken Solo bei Nr. 4 des Programms (The Shepherd), den Posaunisten Gert Zumofen in Nr. 8 (Almighty God = allmächtige Gott). In Aktion traten ferner die Solisten Thomas Montani (Tenor-Sax), der nicht nur bei Nr. 7 («David danced before the Lord» = David tanzte vor dem Herrn) sehr beeindruckende Perkussionist David Clavien, der Klarinettist Reinhard Heldner, der Posaunist Hermann-Josef Biner und der Schlagzeuger Beat Jaggy. Sie alle spielten in einem Bereich in dem sich ein Musiker jenseits der technischen Probleme der Instrumentbeherrschung der Interpretation und auch der Improvisation widmen kann. Auch ihre Zusammenarbeit mit dem Chor und der Sängerin kann als geglückt betrachtet werden.
Berührt wurde der Musikfreund aber auch durch das Gedenken an einen der Grossen des Jazz, der Duke Ellington wirklich war. Der zu Beginn von Karin Kluser und Ernst Minnig gesprochene Text führte in das Leben und Schicksal Dukes ein. Die hier besprochene Aufführung bekam dadurch auch einen historischen Charakter. In diesem Sinne kann dieses Konzert exemplarisch für ähnliche Konzerte sein, die unsere Jazz-Szene bereichern würden. Wer würde nicht gelegentlich Schaffen eines Benny Goodman, eines King Oliver, eines Dizzi Gillespie usw. einmal etwas umfassender und einen Abend lang geniessen wollen?
Walliser Bote – 11. October 1999